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Die 1.-August-Rede von Roland Rino Büchel in Wildhaus
veröffentlicht am Freitag, 01.08.2014
Der unternehmerische Geist und das Spitzbuabawäagli
Heute vor 723 Jahren besiegelten unsere Vorfahren jenes Bündnis, welches den Eidgenossen die ersehnte Freiheit brachte. Darum ist der 1. August unser Bundesfeiertag.
Für mich ist es ein Tag der Dankbarkeit, der Demut und der Bescheidenheit.
„Ein kleines Stück Heimat erwartet Sie im Wildhauser Oberdorf.“ So lautet die Ausschreibung für das heutige Fest. Wildhaus hat etwas Grossartiges auf die Beine gestellt. Sie konnten schon ein vielfältiges Programm erleben; nach dieser Rede geht es weiter mit Nationalhymne, Lampionumzug und Höhenfeuer.
Jetzt aber zum „kleinen Stück Heimat“:
Mein „kleines Stück Heimat“ befindet sich in Oberriet, im St. Galler Rheintal. Darum habe ich für diesen 1. August das Motto „Der Geist vom Spitzbuabawäagli beim Schloss Blatten“ gewählt. Das Schloss Blatten steht ein paar hundert Meter hinter meinem Elternhaus und dem Garagenbetrieb meiner Familie.
Der Gemeindepräsident von Wildhaus-Alt St. Johann, Rolf Züllig, kommt auch aus meiner Gemeinde. Sie ist weniger als eine halbe Autostunde von hier entfernt. Das „Kreuz“ in Montlingen hat übrigens eine neue Wirtin. Ab dem 12. August ist Sandra Wenk aus Wildhaus dort Gastgeberin. Die Rheintaler und die Toggenburger verstehen sich.
In Montlingen, einem der fünf Dörfer der Politischen Gemeinde Oberriet, ist Rolf Züllig aufgewachsen. Und, wie ich, wohl schon das eine oder andere Mal im Kreuz „verhöckelt“…
Zurück zum Schloss Blatten: Es geht mir heute nicht nur um den „Geist vom Spitzbuabawäagli“. Es geht mir um den unternehmerischen Geist der Menschen in unserem Land. Vor allem aber um den Geist derjenigen, die in den ländlichen Regionen des Kantons St. Gallen leben. Diese Menschen sind mir nahe, egal ob sie im Rheintal, im Werdenberg oder im Toggenburg wohnen.
Zum Toggenburg: Hier in Wildhaus habe ich das Skifahren erlernt, auf der Kollersweid. In der vereisten Skiliftspur war das Hinauffahren auf den schmalen Holzlatten mit den aufgeschraubten Kanten schwieriger als das Hinunterbrettern auf der Piste durch den Wald…
Die etwas sauberen Schwünge habe ich dann in den Schulskilagern in Unterwasser gelernt, und zwar am Espel- und am Stöfelilift. Dann waren nicht mehr nur die Kanten aus Metall, sondern die ganzen Skis der Marke Schwendener aus Buchs. Sie waren fast 30 Zentimenter länger als ich.
Wegen des Materials und der Länge waren sie richtig schwer – und ich deshalb froh, dass wir Schüler unsere Skis am Abend in einem Hühnerstall bei der Talstation der Iltios-Bahn einstellen konnten. So mussten wir sie nicht den Hang bis zum Lagerhaus hinaufbuckeln.
Auf den Chäserrugg durften wir damals übrigens noch nicht: Wir hatten pro Tag nur ein paar Einzelfahrten an den Liften zu gut, das teurere Billett für die Gondel lag nicht drin.
Trotzdem schaffte ich es bis in die Schweizer Skinationalmannschaft.
Zwar nicht wie die Toggenburger Willi Forrer, Marianne Abderhalden, Karl, Linda und Ella Alpiger als Alpinfahrer. Und schon gar nicht wie Walter Steiner und Simon Ammann im Skispringen.
Bei mir reichte es für die Marketingabteilung beim Schweizerischen Skiverband. Als Sponsoringleiter war ich in den Neunzigerjahren „schuld“ daran, dass unsere alpinen Skistars in den gelben Käseanzügen um die Podestplätze fuhren.
Swiss Ski hat seine Büros in Muri bei Bern. Wegen meines Namens meinten dort einige Leute, ich sei ein Liechtensteiner. Wegen meines Dialekts befürchteten andere, ich sei ein Österreicher, gewissermassen ein Spion des grössten Rivalen im Skisport.
Wenn wir – quasi dank unserer Skifahrer – schon über der Grenze angekommen sind, dann schauen wir gleich noch etwas weiter in die Welt hinaus.
Schweizer im Ausland:
Heute feiern die Schweizerinnen und Schweizer nicht nur in der Schweiz. Auf der ganzen Welt kommen Menschen zusammen. Das letztjährige 1.-August-Abzeichen war den Auslandschweizern gewidmet, das heurige steht unter dem Motto „Verbundenheit mit der Heimat“.
„Ein kleines Stück Heimat“ ist das Thema hier in Wildhaus. Das passt doch ganz gut zusammen.
732‘000 Schweizerinnen und Schweizer leben im Ausland, gut 3‘500 davon ganz in der Nähe, im Fürstentum Liechtenstein.
Rund 40‘000 Schweizer leben in Kanada. Vor mehr als 50 Jahren wanderte Donat Büchel, der älteste Sohn vom „Schneider Büchel“ aus Oberriet, dorthin aus. Seine Mutter, die immer noch rüstige Lina Büchel, ist heute 101 Jahre alt geworden. Ich komme gerade von ihrem Fest.
Oder schauen wir nach Südamerika, rund 9‘000 km südlich von Kanada und 11‘000 km südwestlich von hier. Ich arbeitete vor gut 20 Jahren auf der Schweizer Botschaft in Buenos Aires. In Argentinien wohnen gleich viele Schweizer wie in Österreich.
Es sind gut 15‘000 – oder fünf Mal weniger als in Deutschland. Es wäre wohl ein bisschen vermessen, wenn ich behaupten würde, der Schweizer Einfluss sei der Grund, dass die deutsche Mannschaft Fussballweltmeister wurde – und nicht die südamerikanische…
Die Argentinien-Schweizer leben zum Teil schon in der sechsten Generation in einem Land, das 66 Mal grösser ist als die Schweiz und trotzdem kaum sechs Mal so viele Einwohner hat.
Warum waren ihre Urururgrosseltern ausgewandert? Fast alle litten Not. Ihre Grossfamilien waren arm und hatten in der Schweiz zu wenig zu essen. Im Oberwallis wurden vielfach Hölzchen gezogen – die Gewinner durften bleiben, die Verlierer mussten gehen.
Ihre Nachfahren wohnen in Städten wie Rosario oder Städtchen wie San Jeronimo in der Provinz Santa Fe. Sie heissen nicht mehr Paul, Hans, Karl oder Sepp – sondern Pablo, Juan, Carlos oder José.
Aber ihre Familiennamen sind immer noch Blatter, Walker, Zurschmitten, Zen-Ruffinen, Bürcher und Bodenmann, also urtypische Walliser Geschlechter.
Nur nebenbei: Ihr neues Heimatland musste gestern bereits zum zweiten Mal innerhalb von 13 Jahren Staatsbankrott anmelden.
1.-August-Feiern in der Welt:
Die Schweizer kommen heute, so wie in Südamerika, auf allen Kontinenten zusammen. Jeder organisiert das Fest auf seine Weise. Einmal ist es grösser, einmal kleiner.
Es sind nicht hunderte, es sind tausende Anlässe verschiedenster Art.
Ein derart attraktives Rahmenprogramm wie es die Organisatoren rund um Urs Gantenbein auf die Beine gestellt haben, wird natürlich nicht überall geboten. Eine so grossartige Kulisse mit den Churfirsten auf der einen und dem Säntis und dem Altmann auf der andern Seite hat sonst wohl niemand.
Nationalfeiertage in anderen Ländern:
Wie ist es, wenn die anderen rund 200 Staaten, die es auf dieser Erde gibt, ihren nationalen Feiertag abhalten? – Die Bürger sind dort vielfach Statisten für Staatschefs, die sich bejubeln und beklatschen lassen.
Nehmen wir Frankreich als Beispiel. Die „Grande Nation“ feiert jeweils den „Quatorze Juillet“. Das ist der Tag der französischen Revolution.
Auch dieses Jahr gab es wieder stundenlange Défilés von Militär und Marine, eine grosse Rede des Staatspräsidenten sowie Tribünen mit allerhand Kategorien von Ehrengästen.
Armeen aus nicht weniger als 80 Ländern waren auf den Champs Elysées vertreten!
1991 arbeitete ich in Frankreich, auf dem Schweizer Generalkonsulat in Marseille und auf der Botschaft in Paris. Schon damals ächzte die „Grande Nation“ unter der Last der öffentlichen Schulden.
Hat sich die Situation gebessert? Nein. Die Schulden betragen im Verhältnis zur Wirtschaftskraft das Dreifache von damals. Dafür war das zentral organisierte Fest heuer mindestens drei Mal pompöser und teurer als vor 23 Jahren.
Wenn sich die Mächtigen feiern, spielen Staatsschulden und Wirtschaftskrise keine Rolle. Sparen sollen andere. Das ist nicht nur in Frankreich so. Sondern in den meisten Ländern, die zentral regiert werden.
Ich bin sehr froh, dass wir unseren Staat anders organisiert haben – föderalistisch, von unten nach oben. Ausländische Politiker fangen an, unser Modell zu verstehen, zum Beispiel in Deutschland. Eine Partei hat letztes Jahr sogar mit dem Motto „Mehr Schweiz wagen!“ geworben.
Und der Ministerpräsident von Baden-Württemberg schrieb einen grossen Artikel für die Neue Zürcher Zeitung. Ich zitiere daraus:
„In der Bürgerschaft wachsen die Zweifel, ob unsere Institutionen überhaupt noch ihre Interessen vertreten, ob das Gemeinwohl die allgemeine Richtschnur politischer Entscheidungen ist.“
Ähnliches habe ich kürzlich in Götzis gehört. Im Vorarlbergischen gibt es eine aktive Bewegung für mehr Demokratie. Die Leute zweifeln daran, dass sich Politiker für die Allgemeinheit einsetzen, wenn sie nicht durch die Bürger kontrolliert und geerdet werden, wie es in der direkten Demokratie möglich ist.
Das Gemeinwohl:
Das Gemeinwohl muss die Basis für politische Entscheidungen sein. Die Eidgenossen haben schon vor 723 Jahren wahrgenommen, dass man für einander einstehen muss.
Zu jener Zeit waren die drei Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden stark bedroht. Und das Schlimmste: Man wollte den einfachen Leuten die Freiheit nehmen. Man wollte ihnen von aussen her vorschreiben, was sie zu tun hätten.
Daraufhin sind die Innerschweizer zusammengestanden. Sie leisteten einen Schwur auf den Freiheitsbrief. Sie wollten ihr Schicksal selber bestimmen. Sie duldeten weder fremde Richter noch Herrscher, die sich über sie stellten.
Hat jemand von Ihnen den Bundesbrief schon gesehen? Er ist in einer Vitrine im Bundesbriefmuseum in Schwyz ausgestellt. Er ist ein bisschen grösser als eine A-4-Seite. In nur 17 Zeilen klärten unsere Vorfahren alle wichtigen Fragen.
Heute braucht es, zum Beispiel, für das „europaeinheitliche Hygienerecht“ 1‘000 Mal mehr Platz als für das Grundlagenpapier unseres Staatswesens!
Der Westfälische Frieden:
Neben 1291 gibt es für unsere Unabhängigkeit ein weiteres, für mich ganz entscheidendes, Ereignis: Es ist der Westfälische Friedenskongress von 1646 bis 1648. Diese drei Jahre waren für unser Land ebenso wichtig wie die berühmten Schlachten, an denen viele unserer Vorfahren ihr Leben liessen.
An der Tagung floss natürlich kein Blut. Dafür kämpfte der Schweizer Unterhändler schlau wie ein Fuchs und mutig wie ein Löwe für unsere Unabhängigkeit.
Damals lag Europa, wie vielfach in der Geschichte, am Boden. Trotz all diesem Elend liess man es sich am Kongress gut gehen.
Unter all den Herrschaften in Samt und Seide stieg für die Eidgenossen ein bescheidener Mann in die Verhandlungsarena. Er hatte nur ein Ziel: Die Freiheit für seine Heimat.
Wie dannzumal Johann Rudolf Wettstein haben die Bürger der Schweizerischen Eidgenossenschaft immer wieder Entschlossenheit bewiesen.
Das geschah manchmal mit dem Einsatz des eigenen Lebens im Kampf, viele Male aber mit diplomatischem Geschick hinter den Kulissen. Gepaart mit einer Schlauheit, Gerissenheit und Heimatliebe, welche ich heute bei unseren Unterhändlern und Diplomaten oft vermisse.
Der Geist der Eidgenossen:
Die Schweiz ist von unten nach oben gewachsen. Wie eine Blume, ein Strauch oder ein Baum. Es braucht heute wie damals Mut, List und Intelligenz, um die „Pflanze Schweiz“ gedeihen zu lassen.
Mut, List, Intelligenz – diese Kombination, das ist der „Geist der Eidgenossen“. Und dieser Geist ist die Grundlage für unseren Staat. Er verschafft Respekt.
Ich erwünsche mir von unseren EU-Unterhändlern mehr von diesem Spirit. Neben diesem „Geist der Eidgenossen“ gibt es auch noch den „Geist von Oberriet“. Das sage ich als Oberrieter natürlich besonders gerne.
Dazu gibt es eine schöne Geschichte: Sie spielte um das Jahr 1800, also mehr als 500 Jahre nach dem Rütlischwur. Damals besetzten die Franzosen unser Land und waren daran, einen zentralistisch regierten Staat einzurichten.
Auch in Oberriet hätten sie schwören müssen, sich an die Regeln und Gesetze der „Helvetischen Republik“ von Napoleon Bonaparte zu halten. Doch die rebellischen Rheintaler widersetzten sich seiner Verfassung, was die Franzosen zuerst gar nicht merkten.
Warum? „Wir schwören es!“ – Diese Worte wollten die Offiziere von unseren Leuten hören.
Was aber antworteten die schlauen Rheintaler?
„Wir hören es!“
Logisch, dass sich keine Oberrieterin und kein Oberrieter verpflichtet fühlte, die Regeln Napoleons zu akzeptieren…
Der Geist vom Spitzbuabawäagli:
Jetzt kommen wir vom jahrhundertealten „Geist von Oberriet“ zum aktuellen „Geist vom Spitzbuabawäagli“. Wir Buben vom Oberdorf nahmen zur Burg hinauf immer das berüchtigte „Spitzbuabawäagli“. Das war ein steiler, mit Wurzeln durchsetzter Aufstieg.
Vielfach machten wir ein Wettrennen mit denjenigen, die über die betonierte Treppe zum Schloss hinauf wollten. Meistens gewannen wir Spitzbuben.
Als ich älter wurde, war ich wegen meiner Arbeit oft im Ausland. Wenn ich jeweils zum Blattner zurückkehrte, fand ich es schade, dass offenbar immer weniger Buben und Mädchen das „Spitzbuabawäagli“ hinauf- und hinunterkraxelten und dass jenes wieder überwuchert war.
In der letzten Zeit habe ich gesehen, wie weiter oben ein neues „Spitzbuabawäagli“ dazugekommen ist. Mutig wagen die Buben und Mädchen sich wieder auf den schwierigen Weg.
Das beruhigt mich – und macht mir Freude. Warum? Es ist für mich wie ein Symbol: Die Jungen sind wieder bereit, ihren Mut zusammenzunehmen und etwas Neues zu wagen. Sie sind entschlossen, etwas zu riskieren, anstatt den Weg des geringeren Widerstands zu wählen.
Und es macht überhaupt nichts aus, wenn es einmal eine Beule am Kopf, eine Schramme am Knie oder einen verstauchten Knöchel gibt.
Es ist wichtig, dass wir Älteren den Jüngeren nicht immer sagen, warum das nicht geht und jenes gefährlich ist. Es ist gut, wenn sie die Freiheit spüren und Risiken nehmen können.
Schauen wir nochmals zurück ins 13. Jahrhundert:
Die Freiheitskämpfer aus den drei Urkantonen riskierten weit mehr als ein paar Beulen oder Schrammen. Sie setzten ihr Leben ein, als sie sich gegen die ungerechte Obrigkeit auflehnten.
Doch etwas war genau gleich: Sie suchten – wie die Oberrieter Spitzbuben – ihren eigenen Weg. Obwohl es einfacher gewesen wäre, dem vorgespurten Pfad zu folgen.
Es war und ist der Wille der Schweizerinnen und Schweizer, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Das, nebenbei, müssen wir den Brüsseler Bürokraten immer mal wieder klar machen. Nur damit sie es nicht vergessen…
Wir wollen unabhängig sein. Wir wollen ein Land sein, in dem wir selbst entscheiden, ob wir das „Spitzbuabawäagli“ oder – auch das ist manchmal notwendig und richtig – die ausgebaute Treppe nehmen wollen.
Die Schweiz ist nicht gross, nicht von der Fläche her. Auch nicht von der Anzahl Einwohner. Eigentlich sind wir ein armes Land. Und wir haben keine Bodenschätze. Wenn es nach den Theoretikern ginge, könnte es uns gar nicht gut gehen.
Was sind die Hauptgründe dafür, dass unser Land trotzdem stark wurde und es bis heute geblieben ist?
Erstens: Wir stellen die Eigenverantwortung von uns Bürgerinnen und Bürgern in den Vordergrund.
Zweitens: Wir regeln die Dinge zuerst in der Familie, dann in der Gemeinde, dann im Kanton, und erst dann auf Bundesebene.
Drittens: Wo es notwendig ist, verhandeln wir mit anderen Staaten und internationalen Organisationen.
Wichtig ist, dass wir mit dem richtigen Geist in diese Verhandlungen steigen. In der Schweiz habe ich das in der letzten Zeit öfters vermisst.
Schauen sie einmal zu den Churfirsten hoch. Da stehen sie, gerade, solide, mit Rückgrat.
Chäserrugg, Hinterrugg, Schibenstoll, Zuestoll, Brisi, Frümsel, Selun – von dieser Seite her durchaus lieblich anzusehen, mit Gras bewachsen bis zum Gipfel – und ohne grössere Probleme mit Wanderschuhen zu besteigen. Gegen den Walensee hin sind alle sieben jedoch felsig, schroff. Und gerade wie eine Eins.
Ab übernächster Woche bin ich wieder öfters in Bern. Dort gibt es sieben … Bundesräte. Wären die doch nur annähernd so standfest und solide wie die Churfirsten! Wenn es darum geht, Entscheide der Stimmbürger gegen aussen zu vertreten und durchzusetzen, vermisse ich bei ihnen manchmal das berühmte „Rückgrat“.
Die Direkte Demokratie:
Wie alle grossen internationalen Konstrukte ist die Europäische Union schwerfällig. Aber nicht nur das. Sie macht die Menschen träge und unterdrückt die direkte Demokratie. Das liegt in der Natur der Sache. Doch es entspricht uns Schweizern nicht.
Wir sind es nicht gewohnt, dass Behörden und staatliche Organisationen zu viel Macht und Einfluss haben. Es widerspricht unserem Denken und unserer Geschichte.
Wenn ich mit Leuten aus dem Ausland rede, können diese meistens gar nicht glauben und verstehen, wie gut und wirkungsvoll man in diesem „Sonderfall Schweiz“ die Macht der Politiker einschränken kann.
Mit 50‘000 Unterschriften können die Bürgerinnen und Bürger die Gesetze der Politiker zur Volksabstimmung bringen.
Wisst Ihr, wie viele Unterschriften an anderen Orten benötigt werden? Nehmen wir Baden-Württemberg als Beispiel. Das deutsche Bundesland ist von der Fläche, der Wirtschaftskraft und der Einwohnerzahl her mit der Schweiz vergleichbar.
Dort braucht es für ein erfolgreiches Volksbegehren die Unterschrift von einem Sechstel der der Wahlberechtigten. Das entspricht 1,25 Millionen Menschen. Zum Sammeln hat man genau zwei Wochen Zeit.
All diese gültig gesammelten Unterschriften sind für das Parlament und die Regierung nicht einmal verbindlich.
Und, wenn wir gerade bei den Zahlen sind: Ein Schweizer kann in einem Jahr gleich viel Mal abstimmen wie ein Engländer in seinem ganzen Leben. Und Grossbritannien gilt für viele als das Mutterland der Demokratie.
In den allermeisten Ländern können die Bürger nicht einmal das: Für sie heisst „Demokratie“, dass sie alle paar Jahre das Parlament wählen dürfen. Und vielleicht den Präsidenten. Mehr nicht.
Das kann durchaus angenehm sein. Als Bürger lehnt man sich zurück. Für alles Negative schiebt man den Politikern die Schuld in die Schuhe. Weil jene „dort oben sowieso machen, was sie wollen“.
Doch wir Schweizer suchen diese Bequemlichkeit nicht. Das entspricht nicht dem Geist der Eidgenossenschaft, das ist nicht der Geist der Toggenburger. Es ist nicht der Geist der Kinder, die heute hier im Oberdorf voller Energie gespielt haben. Und es ist nicht der Geist von uns Spitzbuben vom Schloss Blatten in Oberriet.
Die beständige Demokratie:
Unsere direkte Demokratie ist wirkungsvoll. Und sie ist beständig. 723 Jahre Eidgenossenschaft sind der beste Beleg dafür.
Die Vorgaben für das Zusammenleben auf internationaler Ebene stehen in Artikel 2 der Bundesverfassung:
«Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und Sicherheit des Landes.»
Freiwilligenarbeit:
Was ist der Kitt, den viele von uns tagtäglich beitragen, um das „Gebilde Schweiz“ zusammenzuhalten?
Es ist etwas, das die meisten von Euch leisten, ohne darüber grosses Aufheben zu machen – nämlich Freiwilligenarbeit.
Rund 3 Millionen Menschen sind bei uns freiwillig engagiert. Im Sport, in der Kultur, in sozialen und kirchlichen Organisationen, im öffentlichen Dienst, in politischen Ämtern, als Helfer beim Organisieren von 1. August-Feiern, usw.
Nehmen wir konkret das Beispiel Wildhaus: Es gibt 68 Vereine hier im Dorf – den Verkehrsverein, den Skiclub, das Puppentheater, den Curlingclub, drei Jodelvereine, den Frauenverein usw. – und natürlich die Tambouren und die Bürgermusik, deren wunderbare Auftritte wir soeben miterleben durften.
Die Bewohner der Schweiz leisten insgesamt 700 Millionen Stunden Freiwilligenarbeit pro Jahr, gratis und franko.
Gibt es in der Ehrenamtlichkeit einen wesentlichen Unterschied zu anderen Ländern? – In der Schweiz wird zwischen zwei und zehn Mal mehr freiwillige Arbeit geleistet als in den EU-Staaten.
Diese Freiwilligenarbeit bringt die verschiedenen Generationen und die unterschiedlichen sozialen Schichten zusammen.
Schluss und Zusammenfassung:
Nutzen wir unseren Nationalfeiertag, um an die Grundsäulen der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu denken.
Unser Land steht auf drei Pfeilern: Freiheit, Souveränität, Neutralität
Ganz wichtige Stützen für unseren Staat und unser Zusammenleben sind aber auch das Milizsystem und die Freiwilligenarbeit.
Wenn wir uns auf unsere Stärken konzentrieren und dazu Sorge tragen, dann – und davon bin ich überzeugt – werden wir besser durch Krisen kommen als andere. Dann bleiben wir auch künftig in vielen Bereichen an der Spitze mit dabei.
Vergessen wir etwas nicht: Unsere Grosseltern mussten zum Teil weit fortziehen, um überleben zu können. Wir haben es in der Hand, dafür zu sorgen, dass unsere Nachkommen ihr Glück hier bei uns finden können.
Denken wir daran: Die Kinder wagen es, jeweils das „Spitzbuabawäagli“ zu nehmen. Lassen wir sie machen. Binden wir sie nicht zurück! Freuen wir uns, wenn die Jungen eigene Wege suchen und finden!
Mutig neue Wege begehen und das Risiko der Bequemlichkeit vorziehen; das sollten wir auch als Erwachsene tun. Es tut gut und bringt uns vorwärts. Nehmen wir etwas vom „Geist vom Spitzbuabawäagli“ mit nach Hause!
In diesem Sinn und mit dieser Bitte wünsche ich Ihnen eine erfolgreiche Zukunft mit den beiden wichtigsten Elementen im Leben eines Menschen – der Freiheit, für die sich unsere Vorfahren so kompromisslos einsetzten und der guten Gesundheit, die wir uns alle so sehr erhoffen.
Hebemer Sorg zu bedem!
Wildhaus, 1. August 2014
Roland Rino Büchel