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1.-August-Rede, Camping Sonnensee Kriessern

veröffentlicht am Dienstag, 01.08.2006 20.06 Uhr


Rede 1. August 2006, Sonnensee


Wir wollen frei sein, wie die Väter waren, eher den Tod, als in der Knechtschaft leben.

Das ist der wichtigste Satz aus dem Rütlischwur. Wir sind daran, die hart erkämpfte Freiheit unserer Vorfahren zu verspielen. Eine Ursache ist der wachsende Schuldenberg. Ich erkläre Ihnen warum.


Geschätzte Damen und Herren, liebe Kinder,

„Du bist doch schon viel in der Welt herum gekommen. Erzähle über die verschiedenen Länder, in denen Du gearbeitet hast.“ Das war die Vorgabe für diese Rede. Ich habe angefangen zu überlegen und bin die 19 Länder durchgegangen. Viel Schönes und Gutes habe ich gesehen und erlebt. Aber auch Anderes. Das Schlechte hatte meistens den selben Ursprung: Korruption und Staatsverschuldung.

Ich nehme ein Land heraus, wo ich erstens sehr gerne war und das einen engen Bezug zur Schweiz und zum Rheintal hat. 14/15 Stunden mit dem Flugzeug, und wir sind dort. In einem Land, wo es viele Kühe, das beste Fleisch, gute Fussballer, riesige Ebenen und sogar schöne Skigebiete gibt. Warum gibt es auch sonst viel Ähnliches zwischen der Schweiz und Argentinien? Ich versuche, das zu erklären. Mit zwei Erlebnissen zum 1. August 1991.

Damals arbeitete ich auf der Schweizer Botschaft in Buenos Aires. Auch in den Jahren 2000 und 2001 war ich in Argentinien. Als Marketingchef bei der Junioren-WM im Fussball. Gespielt wurde in Buenos Aires und in fünf weiteren Städten.

Argentinien ist mehr als 60 mal so gross wie die Schweiz (oder sieben Mal grösser als Deutschland). Trotzdem leben nur knapp 40 Millionen Menschen dort. Vom Süden bis in den Norden ist es weiter als von den Kamelen bei den ägyptischen Pyramiden bis zu den Eisbären am nördlichen Polarkreis. In der Pampa draussen wird die Adresse nicht mit Hausnummern angegeben. Eine Familie wohnt zum Beispiel an der Strasse Buenos Aires – Mar del Plata, Kilometer 342, der „Nachbar“ bei Kilometer 356. Weil dieser beim Grillen zu viel Rauch macht oder laute Musik laufen lässt, gibt es darum selten Streit.

Vor 15 Jahren dachte ich: „Da könnte es noch einen mehr vertragen“ und wäre fast dort geblieben, also richtig ausgewandert. Das Angebot als Marketingleiter von einem Skigebiet hatte ich im Sack. 

Aber jetzt der Reihe nach, zu den Erlebnissen um den 1. August 1991:

1991. Ein paar Tage vor dem 1. August in Bariloche: Zusammen mit dem Botschafter war ich als Vertreter der Schweiz in der schönen Gegend. Man kann sie mit dem Obertoggenburg vergleichen. Zu jener Zeit absolvierten dort verschiedene Skinationalmannschaften ihre Sommertrainings. Die Schweizer fuhren schneller als die Österreicher. (Das waren noch Zeiten.) Apropos Österreich. Es hatte eine kleine Unterhaltungsband. Was spielten sie zu unserem Nationalfeiertag? – Den Zillertaler Hochzeitsmarsch! – Gut gemeint. Aber trotzdem amüsant, dass die „Tres Suizos“ – so haben sie geheissen – auf den Tag genau 700 Jahre nach dem Rütlischwur Habsburger Musik boten! Es gab trotzdem ein Riesenfest.

Doch alles Gute hat ein Ende. Am frühen Morgen mussten wir zurück. Dort ist August mitten im Winter und es hatte minus 5 Grad. Die Autoscheiben waren gefroren. Niemand hatte einen Eiskratzer dabei. Da holte die Tochter des Botschafters die Kreditkarte hervor. – Ich weiss jetzt, dass es bessere Eiskratzer gibt… Bis die zerbrochene Visakarte ersetzt war, wurde wenigstens das Konto ihres Vaters geschont!

Warum diese Episode mit der Kreditkarte des Botschafters? Darauf komme ich zurück. Dann geht es um das Geld, das wir mit der „Kreditkarte“ von unserer Kinder ausgeben!

1991: 1.August in Romang, im Norden von Argentinien. Und Wahlkampfzeit in der Provinz Santa Fe. Es ging um den Posten des Gouverneurs. Ein Kandidat hatte ein einziges Wahlkampfmotto:

„Ich bin mehrfacher Millionär. Ich habe es nicht nötig, Euer Geld zu klauen. Ich mache das nicht, das verspreche ich. Das ist mein Prinzip. Sonst verspreche ich gar nichts!“

W
er war der Mann mit der Marlboro-Jacke? – Carlos Reutemann, der ehemalige Formel-1-Pilot. 12 Rennen hatte er gewonnen. Er war während 10 Jahren an der Spitze mit dabei. Zu den Zeiten von Clay Regazzoni, Gilles Villeneuve und Niki Lauda. Seine Vorfahren waren aus der Schweiz ausgewandert.

Ich hatte vor 15 Jahren nicht ganz begriffen, was er meinte. Das könne doch nicht sein. Ohne Programm und nur mit dem Spruch „Ich klaue Euch nichts“ kann er doch nicht gewählt werden. Später habe ich sehr wohl verstanden, was er meinte und warum das Volk mit ihm eine gute Wahl getroffen hatte. Er hat mehr als nur Wort gehalten. Er hat die Provinz mit drei Millionen Einwohnern fast gänzlich von einer ungeheuren Schuldenlast befreit. Hätte er wollen, er wäre heute Präsident von Argentinien. Jetzt ist er Senator. Das ist wie bei uns ein Ständerat.

Warum war ich heute vor genau 15 Jahren in der argentinischen Pampa?

Es war die 700-Jahr-Feier unserer Eidgenossenschaft. Kein Diplomat hatte Lust auf die 22-stündige Busfahrt. Da hat man halt den Jüngsten nach Romang geschickt. Trotz der holprigen Fahrt in den Norden: Es lohnte sich. Erstens hatte es in diesem Teil des Landes nicht minus 5 Grad wie im Skigebiet, sondern über 30 Grad wie in der Karibik.

Um die 2000 Leute waren dort. Sogar eine Miss wurde gewählt. An solchen Anlässen gibt es immer viele Tränen. Auch Freudentränen. Nur eine wird Königin. Ihr Name: Typisch argentinisch? Der von der Silbermedaille schon: Angelina Batistuta. Eine Cousine vom berühmten Fussballer, der 56 Goals für seine  Nationalmannschaft schoss. Gewonnen aber hat Annakäthi Bieri. (Ihre Grosseltern waren aus dem Berner Oberland ausgewandert)

Ich traf sie zehn Jahre später in Rosario wieder. Sie hatte geheiratet, den Willi Zenhäusern. Seine Vorfahren stammten aus dem Oberwallis. Daneben hatte ich mit einem andern alten Bekannten aus Romang zu tun, Gouverneur Carlos Reutemann. Wegen der Junioren-Fussball-WM in Argentinien. Er ist ein Mann, auf den man sich verlassen kann. Die Organisation klappte. Viel besser als im grossen Buenos Aires. 

Bei einem Feierabendbierchen fragte ich ihn: „Du hast doch vor vielen Jahren nicht viel mehr gesagt als: Ich bin nicht korrupt und ich klaue Euch nichts. Wie kann man denn so gewählt werden? Sind denn bei Euch alle Politiker so schlimm, dass das schon genügt?“

Jetzt komme ich auf das zurück, was ich vorher gesagt habe, wegen dem Stehlen. Und das hat mich beeindruckt, es ist mir wirklich eingefahren. Zum Voraus: Carlos Reutemann ist Sozialdemokrat.

“Roland, ich sage Dir etwas. Es gibt nicht nur um das direkte Klauen der Räuber und Betrüger. Stehlen ist auch, wenn man das Geld von den Leuten grossartig umverteilt. Viele Versprechungen der Politiker sind nichts anderes als Raub. Was machen sie? Sie nehmen es von den einen weg und verteilen es den andern. Und sie machen Schulden. Das ist schlecht. Die Leute in dieser Gegend verstehen das sehr wohl. Sie und ihre Eltern sind so betrogen worden.“

Was für Leute wohnen denn in der Provinz Santa Fe, im Norden von Argentinien, nicht weit weg von Brasilien und Paraguay? Was ist das für eine Bevölkerung, welche sich nicht täuschen lässt und die den Staat als nicht als Umverteilungsmaschinerie sehen will?

Nach der Annakäthi Bieri und dem Willi Zenhäusern seid Ihr vielleicht nicht mehr überrascht. Es sind Leute wie Ihr und ich. Viele Schweizer. 

Ausgewanderte Baumgartners, Gächters, Freis, Hubers und viele Berner Oberländer, Innerschweizer und Oberwalliser.

Sie leben in der Gegend, die etwa viermal grösser ist als unser Land. Die Aelteren können noch Deutsch, die Jungen meistens nicht mehr. Mehr als 50'000 Schweizer hatten sich zwischen 1850 und 1940 dort angesiedelt. Sie bekamen null Hilfe vom neuen Staat. Aber die Regierung hat die Leute machen lassen. Etwas war von Anfang an klar: Sie mussten selbständig ihre Farmen aufbauen und bewirtschaften. Viele sind dank ihres grossen Fleisses zu Vermögen gekommen. So wie andere Einwanderer aus Spanien, Italien und Deutschland. 

Argentinien hatte es dank dieser Pioniere bis unter die reichsten Nationen der Welt geschafft. Der Staat akzeptierte die unternehmerische Freiheit und mischte sich nur sehr wenig in die Angelegenheiten der Bürger ein. Das änderte als Präsidenten wie Juan Peron mit seiner berühmten Frau Evita an die Macht kamen. Miteinander erfanden sie den „Peronismus“. Eine Form des Sozialismus.

Innert weniger Jahre waren die Reichen nicht mehr reich. Die Armen wurden noch viel ärmer und der Staat war bankrott. Zum Verteilen blieb nichts mehr. 

Argentinien hat sich bis heute nicht erholt und bleibt hoffnungslos überschuldet. Heute kennen wir das Land wegen der unzähligen Finanzskandale und einer Inflation von manchmal ein paar 100 % im Jahr. Erst seit Kurzem geht es mit einzelnen Provinzen wieder aufwärts. Dank verantwortungsvollen Gouverneuren wie Carlos Reutemann.

Ihr seht: In der Zwischenzeit habe ich ein paar Sachen begriffen. Dazu passt die Geschichte vom Nationalfeiertag 1991. Die Episode von der Kreditkarte der Tochter des Botschafters.

Welches ist die hinterhältigste Art, mit Kreditkarten umzugehen? Nicht diejenige vom verwöhnten Fräulein. Sondern eine andere: Wenn unsere Generation über unseren Staat Geld verschwendet und das dem Kredit-Konto unserer Kinder belastet! Dann führt das früher oder später zu einer Katastrophe. Verschiedene argentiniesche Regimes haben das leider "eindrücklich" bewiesen.

Aber: „Warum denn in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?“ Das hat Goethe geschrieben. Man kann die Frage auch anders stellen: „Warum denn in die Ferne fliegen, wenn die Schulden vor der Haustür liegen?“ Bleiben wir doch in der Schweiz.

Der Staat belastet unsere Nachkommen auf unglaubliche Art und Weise. Im Moment sitzt allein der Bund auf über 130 Milliarden Schulden. Das macht 18'000 Franken für jeden Einzelnen hier und 18'000 für jedes Kind, das auf die Welt kommt. Offiziell. Richtig gerechnet kommen sind es noch fast 40 Milliarden mehr. Dazu kommen im Schnitt 10'000 je Kanton und 5'500 Franken je Gemeinde. Pro Nase. Das macht über 30'000 Erbschuld für jedes Neugeborene.

Machen wir doch einen Vergleich:

Ihr seht hier einen Schuldenschlauch von hier in Kriessern (also ganz im Osten) quer durch die ganze Schweiz – geradeaus über Eichberg, Appenzell, das Toggenburg, den Zürichsee, den Vierwaldstädtersee und das Berner Oberland bis nach Genf ganz im Westen. Ich habe ihn mit einer roten Schuldenbrühe gefüllt. Stellen wir uns jetzt den berühmten reichen Onkel aus Amerika vor. (Er kann auch aus Argentinien sein.) Und er sagt: „Das ist nicht gut. Wir müssen anfangen mit Abzahlen! Mir geht es recht. Deshalb gebe ich eine Million.“ Wie viel von der Schuldenbrühe könnten wir wegbringen? Bis wohin können wir den Schlauch trockenlegen? – Einen Meter! Und noch nebenbei: Schon vor Mitternacht wäre der Schlauch nur mit neu aufgelaufenen Zinsschulden wieder aufgefüllt!

Wie viele Zinsen kosten uns die Bundesschulden? –  Mehr als 3.5 Milliarden Franken jedes Jahr. Das ist das ganze Budget des Kantons St. Gallen. Mit Kantonen und Gemeinden sind es sagenhafte 8 Milliarden! Über 20 Millionen pro Tag. Aufgeteilt ergibt das eine Zinslast von 4'000 Franken für jede Familie mit zwei Kindern. Jahr für Jahr.

Jetzt komme ich nochmals auf Carlos Reutemann zurück. Er hat gesagt:

Staatsschulden: Das sind Schulden, die wir unseren Kindern aufhalsen. Es gibt nichts Ungerechteres auf dieser Welt. Am meisten regt mich auf, wenn diese ganze Gelderverschwendung und Schuldenmacherei unter dem Deckmantel der so genannten sozialen Gerechtigkeit geschieht.“

Ich wiederhole es gerne: Carlos Reutemann ist Sozialdemokrat. Wisst Ihr, was ich bedaure? – Erstens, dass er nicht für die Schweiz Formel-1-Rennen gefahren ist und zweitens, dass er nicht für uns Politik macht. Wenn wir aber seine Gedanken aufnehmen, dann rasseln wir nicht noch tiefer in die Schuldenfalle. 

Vergessen wir eines nicht: In Argentinien machten nette Verteilpolitiker aus einem der reichsten Länder einen der grössten Schuldner der Welt! Innert einer Generation. Das, geschätzte Damen und Herren, sollten wir nicht nachmachen. Wegen den Kindern haben wir schlicht nicht das Recht dazu! 

Kein Schuldenberg für sie! Dafür müssen wir Erwachsenen sorgen. Das ist gerecht und sozial. Nur so können sie frei bleiben. Für diese Freiheit haben sich Generationen unserer Vorfahren eingesetzt. Menschen haben dafür ihr Leben gelassen!

Freiheit ist nicht gottgegeben. Für die Freiheit müssen wir kämpfen. Nicht nur am 1. August. Sondern jeden Tag. Für uns und unsere Nachkommen. Es lohnt sich!

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